blind faith

Anderssein

Kinderspiele. Spiele der Kinder. Es sind alte Bewegungen, Spielarten, die sich durch Zeiten und Orte reihen. Worte, die gerufen, geflüstert und geschwiegen werden. Hände, die Rituale ausführen und dabei Neues entdecken. Das Plötzliche, Unerwartete im wiederholten Vorgang. Ein Einatmen des Daseins. Im Jetzt. In der Bewegung.
Und all das mit ernsthafter Leichtigkeit aufgenommen: den herbstlichen Geruch von Gras und Erde, die Kühle der Eisenstange an den Fingern, der flauschige Ärmelbesatz des Wildledermantels. Der Wollschal im Gesicht, ein Kratzen, der Blick in Dunkelheit und ringsherum Stimmen, Atmen, die eigene Stimme, das Zählen, laufende Schritte. Abgedämpfte Schritte, bedachte Bewegungen, sich verstecken, listig sein und laufen, an die Reihe kommen. Kinder spielen Leben in Sekundenschnelle.
Selbstvergessensein in Wiederholungsschlaufen. Und später, Weiterträumen, Tagträumen. Wiederholungen ausmalen und sich etwas wünschen. Und auch, um die Unterschiede wissen: N. trug neue Stiefel, und den schönen Wintermantel und sie bestimmte oft, J. tat das, was wir ihr sagten, und N. rief Ich bin die Königin der Welt und ich erklärte.
Das Sosein und das Anderssein im Spiel finden. Ich bin, Ich bin nicht Du und Ich bin die Königin der Welt. Im Blick dieser Fotografie: Kinder, die alte Spiele spielen und sich erfinden.

Birgit Szepanski

Being Different

Children’s games. Games children play. Age-old movements, varieties that exist through space and time. Words that are shouted, whispered and remain silent. Hands that carry out rituals and thereby discover new things. The sudden, unexpected in a repeated occurrence. A breathing-in of existence. In the Now. In movement.

And all this photographed with a serious lightness. The autumnal smell of grass and earth, the coolness of the iron pole beneath her fingers, the fluffy edge of the suede coat sleeves. The woollen scarf in your face, scratchiness, looking into the darkness and all around voices, breathing, your own voice, counting, footsteps. Muted steps, thoughtful movements, hiding yourself, being cunning and running, getting your turn. Children play life within seconds.

Unselfconsciously in a time loop. And later, continuing to dream, daydreams. Picturing replays and making a wish. And knowing the difference: N. was wearing new boots and her beautiful winter coat and she often decided what we played, J. did what we said and N. called out I’m the queen of the world and I explained.

Finding the Being-as-it-is and Being Different in games. I am, I am not you and I am the queen of the world. In view of this photograph: Children, who play age-old games and invent themselves.

Birgit Szepanski

Teiresias

Blinde Kuh spielen
Schon als Kind in Fotos
blind umhergehen
sich blind verstehen auf der
Netzhaut der Welt
Schicksal spielen mit verbundenen Augen
Und die Blindheitsmetapher ausreizen
Bis zum Ende
Pieter Bruegel
in dieser Fotografie
in Blindenschrift leben
die Zukunft ertasten
mit verbundenen Augen
noch einmal die Augen schließen
und sich wirklich die Augen vorstellen dabei
der anderen, die auch
blinde Kuh spielen
oder sich weitere bildgebende Verfahren
ausdenken für das Schicksal
der blinden Seher/innen von morgen.

Rainer Totzke

Tiresias

Playing blind man’s buff
as a child in photos
blindly wandering
blindly understanding each other on the
retina of the world
Playing fate with blindfolded eyes
and exhausting the blind metaphors
to the end
Pieter Bruegel
in this photograph
living in Braille
feeling for the future
with blindfolded eyes
close your eyes again
and really imagine the eyes
of the others who are also
playing blind man’s buff
or are thinking up other imaging techniques
for the fate
of the blind seer of tomorrow.

Rainer Totzke