displaced

Fotografien werden geträumt

Fotografien werden geträumt. Fotografien werden immer nur geträumt – von Anfang an – vor irgendwelchen Vorhängen am Ende des Laufstegs bei sich bleiben als Frau, ganz bei sich bleiben, bei sich zu Hause noch einmal sich hinsetzen und über die Schönheitsideale nachdenken der letzten Jahrhunderte vorm Ausgehen – und irgendwo hinschauen dabei ins Leere/Offene, und was du nicht alles bedienen musstest damals, wechselnd durch die Zeiten – Sophia Loren meets Judith Butler –, eine kleine Kultursemiotik der Gesten und des Vorhangs sich ausdenken zum Beispiel und des Begehrens und der gender-theoretischen Reflexion – und was du nicht alles hättest besser machen können später, und mit den grazilen Händen schon irgendwelche Zeichen geben knapp außerhalb des Bildrandes und warten, dass sie gesehen werden oder verstanden wenigstens von uns. Und dann die Augen schließen und dieses Foto selbst von innen heraus betrachten, und auf die Filmmusik deuten, die das Bild ausfüllt mit diesem melodramen MGM-Sound der 60er, und den Schattenriss dieser berühmten Schauspielerin. Und sich zu erinnern versuchen, wie sie geheißen hat, oder wie du selbst geheißen haben könntest damals auf diesem Starfoto, und es umdrehen und rauskriegen wollen. Aber: dies ist doch eine Diafotografie! – sagst du zu dir selber und dass Dias keine Rückseite haben aus Papier, wo irgendwas draufstünde – und Namen schon gar nicht! Dias sind durchsichtig! Und von der anderen Seite aus betrachtet spiegel-verkehren sie dir deine Welt und die Erinnerung, und sie fragen dich, was geworden wäre, wenn du damals genau in die entgegen gesetzte Richtung geschaut oder geatmet hättest mit geschlossenen Augen… Diafotografien sind ein utopisches Prinzip Hoffnung, ein schmerzhaftes kontrafaktisches Konditional der Gegenwart – mit anderen Worten gesprochen/gesehen: Diafotografien träumen uns!

Rainer Totzke

Photographs are dreamt

Photographs are dreams. Photographs are always just dreams – initially – of some kind of curtains at the end of a catwalk, to remain true to oneself as a woman, to remain utterly true, to stay at home, to sit down just once more at home and think about the ideals of beauty over the last century before going out – and to gaze into the distance/into space while doing so, and all those things you had to manage back then, forever-changing with the times – Sophia Loren meets Judith Butler – to think up a little cultural semiotics of gestures and the curtain, for example, of desire and gender-theoretical reflection; and all the things you could have done better later, and with those graceful hands, make a gesture just outside of the picture frame and wait for it to be seen or understood, at least by us. And then to close your eyes and observe this photograph from the inside out, and interpret film music that fills the picture with that melodramatic MGM sound of the ‘60s, and the silhouette of that famous actress. And to try to recall what her name was or what your name could have been back then on that star photo, and then to turn it over and want to know. But this is a slide! you say to yourself and slides don’t have a paper back with something written on – let alone names! Slides are transparent! And looked at from the other side, they back-to-front your world and memory and they ask you what would have happened if you had looked or breathed in exactly the opposite direction with your eyes closed…Slides are a utopian principle of hope, a painful, counter-factual conditional of the present – seen/said in other words, Slides dream us!

Rainer Totzke

Marie, dreh Dich nicht um..

Bleib so. Dreh Dich nicht um. Noch nicht. Verzögere eine Handlung. Richte Deinen Blick nicht zu mir. Steh nicht auf, um zu den anderen zu gehen. Höre dem Lachen zu, den Gesprächsfetzen, die zu Dir dringen. Bleib in diesem Abstand zu allem. Und in der Nähe zu Dir.

Dein Gesicht, das einen Schatten auf den Vorhang wirft. Die lang verlaufende Silhouette Deines Körpers. Beides scheint abgewendet und hingewendet zu sein. Weg von mir, hin zu den anderen. Zwischen diesem Raum, dem Flur und dem Vorhang, auf dem sich all dies abbildet.

Die Langsamkeit Deines Zögerns. Die Erwägung, wo Du sein willst und sein könntest. Bleib so, in dieser inneren Bewegung. Nimm sie auf, und den Schatten gleich mit und gehe weiter durch Dein Leben. Sei nicht zu Hause, lege Dich nicht fest. Jetzt – in diesem Moment bist Du dies: Reisende und Ziellose mit Ziel, Zuhörende und Fragende. Vergiss dieses Jungsein nicht. Behalte es, erahne es immer wieder, halte Dich daran fest.

Die Dinge, die Dich umgeben werden andere sein. Kein gelber Vorhang, keine groben Stoffbezüge keine Stehlampe, keine weißgestärkten Blusen. Die Vergänglichkeit dieses Augenblickes ist die Vergänglichkeit von allem. Hier, in diesem Moment sehe ich Dein Leben und unser beider Innehalten, ohne das wir voneinander etwas wissen. Wenn ich auf den Auslöser der Kamera drücke, wirst Du Dich umdrehen. Ich zögere.

Birgit Szepanski

Marie, don’t turn around

Stay like that. Don’t turn around. Not yet. Put off moving. Don’t look towards me. Don’t get up to go to the others. Listen to the laughter, the snippets of conversation that reach you. Keep this distance to everything. And in the connection to yourself.

Your face that throws a shadow on the curtain. The shadow of your body running lengthways. Both seem averted and turned towards something at the same time. Away from me, towards the others. Between this room, the hallways and the curtain that all this is photographed against.

The slowness of your hesitation. The contemplation of where you want to be and could be. Stay like this, in this inner movement. Record it, and the shadow too and carry on with your life. Don’t feel at home, don’t commit to anything. Now – at this moment you are a traveller, an aimless person with an aim, with listeners and questioners. Don’t forget being young like this. Keep it, keep feeling it over and over again, stick to it.

The things that surround you will change. No more yellow curtain, no coarse sofa covers, no floor lamp, no starched blouses. The transience of this moment holds the transience of everything. In this moment, I see your life and both of us pausing, without knowing anything about each other. When I press the camera shutter, you will turn around. I hesitate.

Birgit Szepanski