double exposure

Blitzlicht

Bestickte Seide. Taft. In Bewegung verschoben. Nylon und Wildseide. Rouge. Schmuckbrosche. Perlenkette. Konturstift. Natürliches Lächeln. Standards. Tanzschritte. Ausgelassenheit. Platinblond.

Diese Wörter und Dinge. Im Nachklingen, im Nachsprechen ist ihr Alter enthalten. Wörter, wie aus einem Gebrauchswarenladen einer anderen Zeit. Dinge, die im Heute andere Wörter tragen. Dinge, die kaum Spuren hinterließen. Und doch, ist all dies in dieser Diafotografie anwesend. Da ist das natürliche Lächeln von damals, da ist die Männerhand, die im Takt schwingt, die Zigarre, die den Rauch von abendlichen Vergnügen, von Feiern im Raum verteilt.

Im Blitzlicht dieser Konturen, dieser Umrisse eines Lebens-Standards, der Umrisse einer zugeschriebenen Person entstehen Verdoppelungen. Rollen. Spiele mit Identitäten.
Der Film zurrte sich fest. Die Filmspule hakte. Ein Foto legte sich über eine vorherige Aufnahme. Mit der linken Männerhand geknipst, während die rechte Hand mit der Zigarre der Bewegung der tanzenden Frauen – und hier schiebt sich einen Gedankenlang das verklingende Wort Damen ein – folgt, sie mit Rauch und Gestik umrahmt.
Feier
– auch dies ein Wort, das verloren geht. Rituale des Vergnügens. Der Tanz der Damen. Der Raum voller Rauch und Wärme der Bewegung. Geschminkte Lippen. Drehungen, Wendungen der Körper. Verschiebungen nach Musik und den Blicken der anderen.

Und davor, im grellen, auflösenden Licht eine weiße, blasse Männerhand. Hüllenartig und doch bestimmend. Das Blitzlicht, Indiz für den halbdunklen Raum in dem getanzt wird macht die Hand zu einem weißen Schatten. Die Geste der Hand ist eine durch Zufall entstehende Behauptung, ein Ich habe gelebt und ein so, habe ich gelebt: Im Schwung der Bewegung, in der Überbelichtung der fotografischen Technik, im Moment des Feierns. Und in der Dauer des natürlichen Lächelns der Damen.

Birgit Szepanski

Flash

Embroidered silk. Taffeta. Suspended in motion. Nylon and wild silk. Rouge. Jewellery brooch. Pearl necklace. Eyeliner. Natural smile. Standards. Dance steps. Exuberance. Platinum blonde.

These words and things. Their resonance, when said aloud, contains their age. Words as if from a used goods store from another era. Things that have different names these days. Things that have barely left a trace. And yet, they are all there in this slide. There is the natural smile from back then, there is the men’s hand marking the beat, the cigar that wafts the smoke of evening party pleasures through the room.

In the flash of these contours, these sketches of a standard of life, the sketches of an ascribed person, a duplication takes place. Roles. A play on identity.

The film pulled. The film wind-on snagged. A photograph overlapped the previous one. Snapped by the left hand of the cigar-smoker, while the man’s right hand follows in time to the dancing women, – and here, a line of thought inserts the fading sound of the word ladies – framing them with smoke and gesticulation.

Celebration – also a word that is becoming rare. Ritualised pleasure. The ladies’ dance. The room full of smoke and warmth from movement. Lipsticked lips. Twisting and spinning bodies. Shifting to the music and the others’ glances.

In the foreground, in the glaring, dissolving light, a white, pale man’s hand. Supportive and yet dominant. The flash, an indicator of the half-darkened room where people are dancing, makes the hand into a white shadow. The gesture of the hand is a chance claim, I have lived and I have lived like this: In rhythmic motion, in the over-exposure of photographic technique, in the moment of celebration. And for the length of the ladies’ natural smile.

Birgit Szepanski

Das einzig Wirkliche

Das einzig Wirkliche in der Fotografie ist die Aufnahme. Das einzig Wirkliche in der Fotografie ist der Index des Lichts. Das einzig Wirkliche in der Fotografie ist die Erinnerung, die sich drüber legt über das, was gewesen ist, das Glück zum Beispiel.
Das einzig Wirkliche an dieser Fotografie ist, dass der Film nicht weitertransportiert wurde. Das einzig Wirkliche an dieser Fotografie ist der doppelte, dreifache Index des Lichts (oder der mehrfache Lichtsinn, wie die Foto-Kabbalisten sagen), also: ein materialer Defekt.
Das einzig Wirkliche an dieser Fotografie ist, dass das Glück hier nicht weitertransportiert wurde und wird, bis heute vielleicht, immer wieder an der selben Stelle belichtet und überblendet in der Fachsprache der Fotografie versunken stillsteht in der Erinnerung, wie es wirklich gewesen ist.
Das einzig Wirkliche an dieser Fotografie ist das Lächeln, ist der Traum hinter geschlossenen Augen, mit dem sie begonnen wurde auszulösen. Soviel Lächeln übereinander zu bringen ist Zufall oder war doch kein Zufall, oder Alkohol spielte vielleicht auch eine Rolle für die verschiedenen Sichtweisen der Beteiligten, oder es gibt besser doch keine Erklärung dafür…
Das einzig Wirkliche an dieser Fotografie ist, dass sie uns jedenfalls über die Wirklichkeit nachdenken und zugleich mitfeiern lässt nachträglich. Das einzig Wirkliche an dieser Fotografie ist die philosophische Reflexion darüber, ob wir in Fotos denken oder in Fotos feiern oder lieber doch in der Sprache, wie Wittgenstein bei Gelegenheit meinte, davor warnen zu müssen. Das einzig Wirkliche an dieser Diafotografie ist, dass wir uns in sie hineinprojizieren können und eine Performance daraus machen, wenn wir wollen, und dass trotzdem alles bleibt, wie es war/ist.

Rainer Totzke

The only true thing

The only true thing in photography is the exposure. The only true thing in photography is the light reading. The only true thing in photography is memory, which overlies past things: happiness for example.
The only true thing in this photograph is that the film was not wound on. The only true thing in this photograph is the double or triple light reading (or the multiple dimension of light, as photographic cabbalists put it). A tangible flaw, in other words.
The only true thing in this photograph is that its happiness will not be wound on but will be exposed at the same place time and again, perhaps to the present day, superimposed and steeped in technical photographic jargon, frozen in memory, just like it was.
The only true thing in this photograph is the smile, the dream behind those closed eyes that triggered the photograph. To overlap so many smiles is a coincidence, or perhaps it was no such thing, or maybe alcohol played a role too in the various points of view of those in the photo, or perhaps there is simply no explanation for it…
The only true thing in this photograph is that is makes us think about reality while letting us join the party in retrospect. The only true thing in this photograph is the philosophical reflection on whether we think or celebrate in photographs, or if we use language, as Wittgenstein on occasion believed he had to caution us against. The only true thing in this slide photograph is that we project ourselves on to it and make a performance out of it if we wish; and that despite this, everything stays, as it was/is.

Rainer Totzke