perfect surface

Bild/Performance

Manchmal bin ich irritiert von diesen fremden Privat-Fotos, die ich besprechen will, und schaue lieber noch einmal genauer hin, ob ich das nicht sogar selber bin da, in der zweiten Reihe von unten, vor unserem Haus oder dem der Nachbarn – wir sahen alle so gleich aus damals in den 70ern und die Eigenheime und Eigenheimzulagen sowieso –, und wie gesagt, ich schaue also lieber noch mal genauer hin, ob ich das nicht selbst wenigstens hätte sein können da auf dem Bild. Aber das sind nun doch nicht meine Eltern oder Nachbarn oder Großeltern dort, denke ich, und schüttele enttäuscht, aber irgendwie auch ein wenig erleichtert den Kopf, weil ich mit diesem Essay jetzt eben doch nicht gleich so ganz direkt über mich schreiben muss oder über meine Vergangenheit oder über dieses vertraute Gefühl des Repräsentativen zumindest – stolz vor irgendwelchen Häusern oder Wochenendhäusern oder Kulissen wie im Theater. Nach dem performative turn in den Geistes- und Sozialwissenschaften der letzten zehn Jahre kann und sollte man den gesamten privaten Fotoproduktions- und ‑rezeptionsprozess vielleicht stärker als eine Art theatrale Performance betrachten: Bei der Bildentstehung zum Beispiel nehmen wir in einem performativen Akt Aufstellung, zunächst im Off, und dann kommen wir in-one-shot ins Bild. Und wir bedienen uns bei der theatralesken Aufführung der Aufnahmesituation natürlich auch der alten Aufstellungsmuster aus der Zeit vor dem fotografischen Zeitalter. Unsere kulturell habitat-sedimentierten Körper erinnern sich dabei schon immer intuitiv an theatrale Bildperformances von früher zurück, unbewusst vielleicht sogar bis hin zu dieser legendären Bildaufnahme-Situation der Familie König Karls IV. von Spanien, die irgendwann im zugigen November des Jahres 1800 fröstelnd in einem ungeheizten Saal ihres Madrider Palastes Aufstellung nahm und sich von Francisco de Goya in-one-shot abbilden ließ, oder wenigstens beinahe in-one-shot, weil Abbilden damals eben noch primär Malen war (oder Zeichnen) – und jedenfalls noch nicht: Fotografieren. Oder an Velazquez’ Inszenierung von „Las Meninas“ – diese großartige Repräsentation der Repräsentation – weitere 150 Jahre zurück. Und zugleich stellt sich die Frage nach der historischen Differenz, die mit der Demokratisierung der Bildproduktion durch die Privatfotografie aufriss, als die Fotografie, und insbesondere die private Fotografie, das Malen weithin zu ersetzen begann und es ermöglichte, dass es theatralisch-repräsentative Bilder heute nicht mehr nur von Königsfamilien in oder vor deren „Eigenheim“-Kulissen gibt, sondern tendenziell von uns allen.

Rainer Tozke

Picture/Performance

Sometimes I am puzzled by these private photographs of strangers that I am to discuss here, and take a closer look to make sure it’s not me there in the second row from the bottom in front of our house or our neighbour’s house – we all looked the same back then in the 1970s, as did all the private homes and private home allowances – and I was saying, I prefer to take a closer look to see if it could not have been me there in the picture. But those aren’t my parents or neighbours or grandparents there, I think, and I shake my head, disappointed, but also slightly relieved because now this essay at least doesn’t have to be quite so straightforwardly about me or my past or about this familiar feeling of representativeness – proud, in front of some house or weekend home or backdrop like in the theatre. After the performative turn in humanities and social sciences in the past ten years, one can and should regard the entire process of private photograph production and reception perhaps more as a kind of theatrical performance: In creating the picture, for example, we assemble, first offstage and then we come into the picture in-one-shot. And in the theatrical performance of the photograph situation, we naturally help ourselves to old models for assembling from the era before the age of photography. Our cultural, habitat-settled bodies intuitively think back to theatre image performances from the past, perhaps unconsciously, even back to that legendary image-recording situation of King Charles IV’s family from Spain who, some time in the draughty November of the year 1800, assembled shivering in an unheated hall in their Madrid Palace where Francisco de Goya recorded their image in-one-shot, or at least almost in-one-shot as images at that time were still primarily painted (or drawn) – and at any rate not yet photographed. Or back to Velazquez’ depiction of “Las Meninas” – that magnificent representation of representation – another 150 years earlier. And at the same time, the question of historical difference is raised; a difference that was destroyed during the democratisation process of image production for private purposes when photography, especially private photography, extensively began to replace painting, and enabled theatrical-representative pictures to be taken not only of royal families in or in front of their “own home” backdrops but also of us all.

Rainer Totzke

Sie lächeln

An einem Vormittag. Im Sommer. Man könnte das berichten, was zu vermuten ist, das was offensichtlich wäre. Wie, die Glasscheiben sind seit gestern frisch geputzt, der Rosenlausbefall erfolgreich gestoppt, der Vorgarten gejätet, das Auto steht für die Sonntagsfahrt vor der Garage.

Sie lächeln. Den selbstgebackenen Kuchen wird H. später servieren, mit dem Kaffee, auf dem zur Hochzeit geschenkten Tafelservice in Blau. Sie lächeln in den Tag hinein. Ihr Eigenheim. Die Garage direkt am Haus. Kaffeeduft bis zum Nachmittag. Und dann. Und dann fehlte J.

Manchmal denken sie an ihn. Dieser Tag im Sommer, an dem sie noch zusammen ins Grüne fahren werden und Kaffee trinken und die Kinder am späten Nachmittag ins Freibad gehen. In diesen Tag lächeln sie hinein. Sie wissen noch nichts.

Die Sonne wandert am Haus entlang. Immer noch scheint sie am längsten auf die Wand mit der Terrassentür. J. – seine Gestalt beginnt sich in der Fotografie, in diesem festgehaltenen Augenblick aufzulösen, kaum merklich abzuheben von dem Hintergrund des Hauses. Ohne, dass jemand damals etwas geahnt hätte. J.s Anwesenheit in der Fotografie und das Lächeln der anderen. Die Fotografie hält dies zusammen.

Birgit Szepanski

They smile

One morning. In summer. One could give an account of what can be supposed, what obviously was. How the windowpanes were freshly cleaned only yesterday, the rose bug infestation successfully stopped, the front garden weeded, the car parked in the garage ready for the Sunday drive.

They smile. The homemade cake will be served later by H. with coffee on the dinner set in blue that was a wedding present. They smile into the day. Their own home. The garage directly next to the house. The smell of coffee all the way into the afternoon. And then. And then J. went missing.

They sometimes think of him. That day in summer when they would drive out to the country together and drink coffee and the children would go to the outdoor pool later. They are smiling into this day. They don’t know yet.

The sun wanders along the house. It still shines the longest on the wall with the terrace door. J. – his form begins to dissipate in the photograph, this frozen moment, becoming almost indistinguishable from the background of the house. Not that anyone suspected anything. J.’s presence in the photograph and the smiles of the others. The photograph holds this all together.

Birgit Szepanski