the invisible
Zurückkehren
Zurückkehren. Bilder, die zurückkehren, Menschen, die zurückkehren mit ihren Blicken, Seelen, die zurückkehren mit ihren Projektionen. Dies sind meine Großeltern zum Beispiel. Sie blicken mich an wie von vor meiner Zeit, wie von nach meiner Zeit – irgendwo im Übergang jedenfalls zwischen den Welten ist ihr Blick zu verorten, ist dieses Bild zu verorten. Dieses Blick-Bild beglaubigt eine Ästhetik des Erscheinens ebenso wie eine Ästhetik des Verschwindens (Verblassens) und des Wiedererscheinens. Reinkarnation = Reikonisation. Belichtete Indianerseelen irgendwie, denke ich, fühle ich. Und ich kehre in dieses Bild zurück. Dieses Bild ist eine Allegorie für das Versinken der Zeit, für das allgemeine Unsichtbar-werden und das Unsichtbar-werden der Bilder letztlich auch. Dieses Bild macht sprachlos. Es ist ein Bild aus der Reihe der sprachlos machenden Bilder. Dieses Bild ist ein Meta-Bild. Dieses Bild fällt aus der Reihe. Dieses Bild ist ein Bild aus der Reihe der aus der Reihe fallenden Bilder, und ich zitiere: Was wir sehen blickt uns an! – Oder blickt uns doch nicht an, sondern sieht durch uns durch auf die Endlichkeit unserer Existenz, sodass wir selber durchsichtig werden an diesem Bild, uns selber durchsichtig werden – vielleicht so wie Heidegger einmal dachte – nur eben nicht an Privatfotos dabei.
Rainer Totzke
Going back
Going back. Pictures that go back, people that go back with their expressions, souls, who go back with their projections. These are my grandparents, for example. They are looking at me from a time before my time, after my time – their expression can be located somewhere in the interim between two worlds, and so can this picture. This expression-picture is witness to an aesthetic of appearance, and an aesthetic of disappearance (fading) and a re-appearing. Reincarnation = re-iconisation. Indian souls that have been photographed, I think, I feel. And I go back to this picture. This picture is an allegory for the submergence of time, for the process of becoming invisible and by which pictures become invisible too. This picture makes you speechless. It is a picture from a series of pictures that make you speechless. This picture is a meta-picture. This picture is the odd one out in the series. This picture is a picture from the series of odd ones out and I quote: What we see looks at us! – Or it does not look at us but sees right through us to the finiteness of our existence so that we become transparent to ourselves in this picture, become transparent ourselves, perhaps as Heidegger once thought – except he was not referring to private photographs.
Rainer Totzke
Leben
Ein Leben ohne Fotografien. Ein Leben, das eine Abbildung, eine Vergewisserung nicht benötigt. Leben mit einer anderen Art der Erinnerung. Diese Privatfotografie wurde für die Nachfahren gemacht, für die Enkelkinder, Urenkel. Als Erinnerung für nachfolgende Generationen.
Von einem anderen Leben scheinen der Blick und die Haltung der alten Frau und des alten Mannes zu sprechen. Ein Leben, das sich nicht beschönigt, dass gelebt wurde, so gut es ging und so wie es ging und vielleicht genauso schlicht – Seite an Seite, so wie sich die Schultern berühren, so sorgfältig, wie Krägen und Hemdsärmel abschließen und wie die Knopfreihe und die Reißverschlusslinie am Körper entlang läuft.
Das Medium der Fotografie, das kurze Ablichten, das Bildentwerfen trifft hier auf einen Gegenblick. Auf den Blick von zwei Menschen, die schweigen. Das Schweigen ist Bild. Der gerade Blick in die Fotokamera ist Bild. Ihre nicht preisgegebene Lebensgeschichte ist Bild.
Eine Fotografie, die keine Erzählungen hervorruft. Eine Fotografie, die Schweigen ist und eine seltsame Stille hervorruft: Das Leben tragen. Mit allem was kommt, geht, vergeht, und nichts, was nicht geschehen kann, in Haltung, mit zusammengefalteten Händen, mit geradem Blick, ernsthaft, so wie Generationen zuvor – und keine mehr nach ihnen.
Birgit Szepanski
Life
A life without photography. A life that does not need an image or confirmation. Life with another kind of memory. This private photograph was taken for descendants, for the grandchildren and great-grandchildren. As a memento for future generations.
The expression and the posture of the old woman and old man seem to speak of another life. A life that was not glossed over but that was lived as best as it could be and as it was and perhaps just as simply – side by side, as the shoulders touch, as carefully as the collars and shirt sleeves end and as carefully as the rows of button and lines of zips run along their bodies.
The medium of photography, the short exposure, the creation of an image meets a counter-expression. The expression of two people who are silent. Silence is the picture. The direct gaze into the camera is the picture. Their untold story is the picture.
A photograph that does not conjure up a narrative. A photograph that is silent and evokes a strange stillness: Enduring life. With everything that comes and goes, decays, and nothing that cannot happen, in attitude, with folded hands, direct expression, serious, just like generations past – and none other after them.
Birgit Szepanski